Gestern und
heute
Eine Stimme - ein Klavier
El Tango de Astor Piazzolla
Die sieben Todsünden der Kleinbürger
La Chanson Francaise
Milva singt Brecht



El Tango de Astor Piazzolla
mit dem Sextett
Tango Seis



Titel Komponist - Texter
   
   
Verano Porteño instrumental
   
Balada para mi muerte Milva / Horacio Ferrer
   
Los pajaros perdidos Milva / Mario Trejo
   
Romance del Diablo instrumental
   
La muerte del angel instrumental
   
Anées de solitude Milva / Maxime Le Forestier
   
Balada para un loco Milva / Horacio Ferrer
Adios Nonino instrumental
   
Yo soy Maria Milva / Horacio Ferrer
   
J'oublie Milva / Davic Mc Neil
   
Che tango che Milva / Jean Claude Carrière
   
Escualo instrumental
   
Michelangelo 70 instrumental
   
Rinascerò Milva / Angela Tarenzi
   
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Nach ca. 45 Minuten wird es eine 20min. Pause geben.

- Änderungen vorbehalten -




















TANGO NUEVO

Es ist das Verdienst der Boulanger, dem ganz in "klassischen" Ambitionen gefangenen Piazzolla wieder seine Wurzeln zum Bewusstsein gebracht zu haben, gewissermassen die Rückbesinnung auf seine kulturelle Identität. Mit diesem neu gewonnenen Selbstbewusstsein komponierte Piazzolla fortan seine "Fugas y Suites tanguificadas", seinen "Tango nuevo", mit dem er den Tango aus jener Monotonie, "die ihn harmonisch, melodisch, rhythmisch und ästhetisch einengte" (Piazzolla), befreite. Er emanzipierte den Tango von seiner Funktion als Tanzmusik, stilisierte und entwickelte ihn weiter.

Paris brachte Piazzolla auch eine konkrete Begegnung mit dem Jazz. Er lernte 1954 den Baritonsaxophonisten Gerry Mulligan kennen. Nach seinem Parisaufenthalt kehrte er nach Argentinien zurück. Wegen seiner revolutionären Tangos von Verlegern und Medien boykottiert, ging er von 1958 bis 1960 nach New York, wo er als Arrangeur arbeitete. 1961, zurück in Buenos Aires, gründete er sein berühmtes "Quinteto" (Bandoneon, Violine, Klavier, Kontrabass, elektrische Gitarre), eines der vielen Formationen und Orchester, denen er angehörte oder die er begründete. In den siebziger und achtziger Jahren war er auch zunehmend in Europa und in den Vereinigten Staaten erfolgreich. Bis kurz vor seinem Tod trat Piazzolla immer noch als Solist und Interpret seiner Werke auf. Auch seine Schöpferkraft blieb ihm bis in die letzten Jahre erhalten. Im August 1990 erlitt Astor Piazzolla in Paris einen Gehirnschlag. Er starb am 4. Juli in Buenos Aires nach zweijähriger Krankheit. Er hinterliess ein umfangreiches Opus mit über 700 Kompositionen und Arrangements, darunter sind Konzerte, Kammer-, Film-, Theater- und Ballettmusik, Opern, ein Oratorium, Lieder u.v.m. Vieles davon wurde noch nicht katalogisiert, geschweige denn analysiert. Hier tut sich ein weites Feld für zukünftige Generationen von Musikwissenschaftlern auf.







Biografie Astor Piazzolla

Astor Piazzolla wurde 1921 in Mar del Plata, dem eleganten Seebad am Atlantik, 400 km von Buenos Aires entfernt, geboren. 1923 übersiedelte die Familie nach New York. Im Alter von neun Jahren begann er das Bandoneon zu spielen, das er bald beherrschte und dem er sein Leben lang treu blieb. Seinen ersten prominenten Auftritt machte Piazzolla mit dreizehn Jahren: der singende Mythos Carlos Gardel hörte von dem Wunderkind und holte ihn 1934 als Musiker für die Filmmusik zu seinem legendären Streifen "El día que me quieras". Der kleine Astor erhielt sogar eine Statistenrolle als Zeitungsjunge. Einige Jahre später, 1937, kehre die Familie Piazzollas nach Argentinien zurück und liess sich in Buenos Aires nieder. In den folgenden Jahren spielte Piazzolla sein Bandoneon in den Kabaretts von Buenos Aires mit verschiedenen Orchestern und schrieb Arrangements. Er kam zu dem Orchester von Anibal Troilo, El Pichuco, dem bedeutendsten Bandoneonisten der Zeit, der zu seinem Lehrmeister wurde. Neben dieser Karriere als Tangointerpret und Arrangeur befasste sich Piazzolla auch mit klassischer Komposition. Eines Tages nahm er seinen ganzen Mut zusammen, suchte Arthur Rubinstein in dessen Haus in Buenos Aires auf und zeigte ihm eine seiner Kompositionen. Rubinstein brachte Piazzolla mit seinem Freund, dem Komponisten Alberto Ginastera, zusammen. Sechs Jahre land studierte Piazzolla bei ihm Komposition. Seine ganze Aufmerksamkeit galt nun seinen Symphonien, Ouvertüren, Klavierkonzerten etc., die er in grossen Mengen produzierte, und wandte sich vom Tango ab.

1953 reichte Piazzolla seine Sinfonia Buenos Aires beim Wettbewerb Febian Sevitzky ein und gewann der ersten Preis.

Daran war ein Stipendium der französischen Regierung geknüpft. Ab 1954 studierte er daher bei Nadia Boulanger in Paris, was für Piazzolla zu einer entscheidenden Wende in seiner kompositorischen Laufbahn führte. Piazzolla selbst beschrieb diese Begegnung in einem Interview in der chilenischen Zeitung "El Mercurio" (1989, Interviewer Gonzalo Saavedro):
"Als ich mit den Kilos an Sonaten und Symphonien unterm Arm zu ihr kam, sagte ich zu ihr: "Maestra, hier sind meine Werke." Sie las die Partituren, dann begannen wir die Musik zu analysieren, und sie sagte in einem Satz, den ich schrecklich fand: " Hier ähneln Sie Strawinsky, hier Bartok, hier Ravel, aber wissen Sie was? Ich finde hier keinen Piazzolla."

Sie begann, mich nach meinem persönlichen Leben zu fragen, was ich machte, was ich spielte, was ich nicht spielte, wo ich lebte, mit wem, ob ich verheiratet war… ich kam mir vor wie beim FBI. Ich schämte mich sehr, ihr zu erzählen, dass ich Tangomusiker war, ich schämte mich wirklich sehr. Und zum Schluss sagte ich: " Und ich spiele in einem Nightclub". Ich war wütend, dass sie mich dazu gebracht hatte, dies zu sagen. Und sie bohrte weiter: "Sie sagten, dass Sie nicht Klavier spielen. Welches Instrument spielen Sie?" Ich wollte ihr nicht sagen, dass ich das Bandoneon spielte, weil ich dachte, sie würde mich im hohen Bogen aus ihrem Fenster im vierten Stock werfen. Schliesslich gestand ich es ihr, und sie wollte, dass ich ihr einen meiner Tangos vorspielte. Plötzlich öffnete sie die Augen, nahm meine Hand und sagte: "Dummkopf, das ist Piazzolla!!" Und ich nahm meine ganze Musik, zehn Jahre meines Lebens, und warf sie in zwei Sekunden zum Teufel.

Nadia hat mich gelehrt, an Astor Piazzolla zu glauben und daran, dass meine Musik nicht so schlecht war, wie ich meinte. Ich hatte geglaubt, dass es verwerflich sei, Tangos in einem Kabarett zu spielen, aber jetzt entdeckte ich, dass ich etwas hatte, was man Stil nennt. Ich fühlte eine Art Befreiung von dem beschämten "Tanguero", der ich bis dahin war. Ich befreite mich plötzlich und sagte mir: "Gut, ich muss also mit dieser Musik weitermachen."



VON ADIOS NONINO ZU CHE TANGO CHE


Die Werke des Programms umfassen eine Schaffensperiode Piazzollas von beinahe einem Vierteljahrhundert. Die früheste Komposition, Adiòs Nonino, wurde im Oktober 1959 in New York komponiert. Anlass war der Tod von Astors Vater, Vincente Piazzolla, der von Freunden und Verwandten "Nonino" genannt wurde. Vincente war von Beruf Friseur. Er war es, der seinem Sohn sein erstes Instrument schenkte: ein gebrauchtes Bandoneon, das er für 18 Dollar in einem Geschäft am Hafen gekauft hatte. Er war es auch, der Astor schon früh privaten Musikunterricht trotz enger finanzieller Verhältnisse ermöglichte. Diese Hommage an seinen Vater wurde zum ersten großen Erfolg für Piazzolla. Er schuf hier eine seiner berühmtesten und schönsten Melodien. Die große Beliebtheit des Stückes zeigt sich auch daran, dass es außer der heute zu hörenden Version für Sextett, eine Vielzahl an Bearbeitungen für die unterschiedlichen Formationen gibt (z.B. Solo-Bandoneon, 4 Bandoneones, Bandoneon mit Streichquartett, Quintett…). Adios Nonino beginnt mit einer Serie spannungsladender, pulsierender Schläge, über die sich das solistisch, rhapsodisch geführte Bandoneon erhebt. Nach dieser Einleitung mit zahlreichen virtuosen Passagen führt eine ausgedehnte, aufsteigende Tonleiter das lyrische und romantische schwelgende Hauptthema ein. Unter dieser Melodie pulsiert der Rhythmus als treibende Kraft weiter. Es folgt eine frei sich entwickelnde Passage, eine Art Durchführung, und eine Reprise, die gegen Ende immer weiter zurückgenommen wird, bis schließlich der letzte Ton sanft ausklingt.

In der Chronologie der Kompositionen folgen die zwei Baladen Balada para mi muerte (ital. Fassung Suoneranno le sei von Angela Tarenzi) und Balada para un loco. Beide entstanden 1969, und insbesondere die Balada para un loco brache Piazzolla entgültig den großen Durchbruch. Die Texte für die beiden Kompositionen stammen von Horacio Ferrer, dem uruguayischen Dichter. Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den beiden hatte bereits zwei Jahre früher mit der Oper Maria de Buenos Aires begonnen. Gesungen wurden die Balladen für Orchester und Singstimme erstmals von Amelita Baltar, der damaligen Lebensgefährtin Piazzollas. Die Balada para un loco hat mit einem traditionellen Tango-Lied nichts gemein. Sie ist surreal, witzig und erzählt in modernen Worten die Geschichte eines Gespenstes mit Melone, das dem Sänger auf einer Strasse in Buenos Aires erscheint und - halb tanzend, halb fliegend - verkündet: "ich weiß, dass ich verrückt bin, verrückt, verrückt…, dass eine Schar Astronauten und Kinder um mich herum Walzer tanzt…"
Im gleichen Jahr (1969) entstand, wiederum mit Text von Ferrer und uraufgeführt von Amelita Baltar, das Preludio para el a/ño 3001 (ital, Fassung Rinascerò von Angela Tarenzi), auch Vamos Nina (1972) gehört zu der Serie von Liedern, die in dieser Konstellation entstanden sind.

1974 kam es zu einem neuen Zusammentreffen des Jazzmusikers Gerry Mulligan mit Piazzolla. Sie waren sich bereits 1954 in Paris erstmals begegnet. Zwanzig Jahre später nun produzierten sie zusammen eine Schallplatte in Erinnerung an ihre erste Begegnung: "Veinte años después". In diesem Zusammenhang komponierte Piazzolla das Stück Años de soledad für das Saxophon von Mulligan. Für die Produktion El Tango 1984 am Théâtre Bouffes du Nord in Paris - das erste große, gemeinsame Projekt von Piazzolla und Milva - entstand die heute zu hörende vokale Fassung. Der französische Text Années de solitude stammt von Maxime le Forestier. Zu den weitern Kompositionen der siebziger Jahre gehört der Song Los Pajaros perdidos (1976), mit einem Text von Miguel Trejo.

Eine Gruppe von Werken entstand im gleichen Jahr wie die Produktion am Théâtre Bouffes du Nord (1984): Oblivion, Remembrance und Cavalcata. Es handelt sich bei allen drei Stücken um Musik zum Film "Henry IV" von Marco Bellocchio nach einem Stück von Pirandello mit Marcello Mastroianni und Claudia Cardinale in den Hauptrollen. Der Titelsong Oblivión, ursprünglich für Orchester, wurde noch im gleichen Jahr in Paris für Milva arrangiert - es entsteht J'oublie. Außer den zwei genannten, für die Pariser Tango-Show produzierten Vokalfassungen (Años de soledad, Oblivión) komponierte Piazzolla zwei Lieder eigens für die Konzerte mit Milva. Es handelt sich um Che Tango che, dem ein Gedicht von Jean-Claude Carrière zugrunde liegt, und Finale (Entre Brecht et Brel).




KRITIKEN

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
14.11.2002 / LOKALAUSGABE / DORTMUND

Liebeserklärung an Piazzolla
Milva begeistert mit Tango-Abend
Von Martina Lode-Gerke

Astor Piazzolla bezeichnete den Klang ihrer Stimme als eine Mischung aus Saxophon und Cello. Am Dienstag gastierte die italienische Sängerin Milva im Konzerthaus.

Lobende Worte fand sie für die Akustik: "Es ist eine große Befriedigung, hier zu singen. "Befriedigt waren auch die Besucher mit dem reinen Piazzolla-Programm, spendeten spontan stehenden Beifall.

Eine enge Freundschaft hatte Milva und den 1992 verstorbenen Argentinier verbunden. Das merkte man in jeder Interpretation, die die Sängerin, exzellent begleitet von dem EnsembleTangoSeis, vortrug. Ein großes Stimmvolumen, das eigentlich keiner elektronischen Verstärkung bedurft hätte, entfaltete die Italienerin in "Anées de solitude", mitreißend mit sehr differenzierter Dynamik gestaltete sie "Che tango che". Aber die Diva hüpft auch mal barfuss über die Bühne, wenn sie die "Balada para un loco" (Ballade für einen Verrückten) vorträgt, oder gestaltet den Titel "Vamos Nina" als kleines Drama.

Man kann nicht sagen, dass sich die auch als Brecht-Interpretin gefeierte Sängerin, die bekennt, Piazzolla und Kurt Weill seien für sie die größten Komponisten des 20. Jahrhunderts, in irgendeiner Weise schont. Voller Stimm- und Körpereinsatz bringen Milva zuweilen aus der Puste - und die Zuschauer aus dem Häuschen.

TangoSeis empfahl sich nicht nur als Begleiter, sondern begeisterte auch mit den Instrumentalstücken Piazzollas, etwa dem bewegenden "Adiòs Nonino", das Piazzolla in der Todesnacht seines Vaters komponierte, und in dem der Tango wie ein plötzlicher, schmerzlicher Aufschrei losbricht.

Ein wunderbarer Abend mit einer Diva, die sich als durchaus publikumsnah präsentierte.


Wiesbadener Tagblatt
7.05.2001
Von Richard Hörnicke
Gestaltet bis in jedes Detail

Maifestspiele I: Milva und das Ensemble "TangoSeis" im Großen Haus

"Tun Sie, was Ravel, Strawinsky und Bartok getan haben, die aus der Musik ihrer Völker etwas Neues, etwas Wunderschönes geschaffen haben. Sie haben Talent. Mich brauchen Sie nicht mehr." Diese 1954 an ihren "Schüler" Astor Piazzolla gerichteten Worte der berühmten Pariser Kompositionslehrerin Nadia Boulanger markieren die Geburtsstunde des "tango nuevo". In der Mischung von Elementen des Jazz, klassischer Formensprache und der synkopierten rhythmischen Struktur des Tangos fand der Argentinier seine musikalische Heimat, die alle seine Werke, so auch sein vor einiger Zeit in Wiesbaden aufgeführtes Konzert für Bandoneon und Orchester, bestimmt. Zu der erfolgreichen Wiedererweckung des Tangos in bisher unbekannter und von daher oft angefeindeter Art ist ihm noch das Verdienst anzurechnen, dem Akkordeon einen gleichberechtigten Platz im Kreis der Instrumente errungen zu haben.

In der "klassischen" Besetzung mit Bandoneon, Violine, Flöte, Klavier, Kontrabass und Gitarre war das von den Zuschauern mit Ovationen bedachte Ensemble "TangoSeis" im Großen Haus des Staatstheaters zu Gast. Ein Maifestspielabend, der ausschließlich der Gestaltung von Tangokompositionen Piazzolla's gewidmet war und dem man Authentizität bescheinigen muss. Star des Abends war Milva, 1984 mit Piazzolla am Pariser Theater Bouffes du Nord engagiert und von daher mit Stil und Interpretationsart des Tangos bestens vertraut.
Noch immer weiß die Diseuse mit der Leidenschaftlichkeit und Differenziertheit ihres Vortrags und dem Charme ihrer Persönlichkeit zu überzeugen. Perfekt im Ablauf ist die Show, keine Nuance bleibt dem Zufall überlassen. Allerdings blieben ihre in italienisch gehaltenen Ausführungen für einen Großteil des Publikums unverständlich. "El Tango de Astor Piazzolla" nannte sich der Abend im überfüllten Haus, und an dem hervorragenden Sextett "TangoSeis" hätte Piazzolla seine Freude gehabt. Besser kann man es kaum machen - unter den Händen der versierten Musikanten wurden die beiden Ausdrucksebenen des Tangos - lodernde Sinnlichkeit und melancholisch nachsinnende Stimmung - bestechend realisiert.

Ein passioniertes Musizieren, gleich fesselnd im skandierenden Rhythmus, dem glutvollen Zugriff und in leisen Passagen. Fast konnte man dank der Perfektion des Sextetts vergessen, welche Raffinessen sich in diesen Kompositionen verbergen. Aus dem Kreis der Instrumentalisten sei der hochvirtuos aufspielende Bandoneonist Gilberto Pereyra stellvertretend für seine kongenialen Mitstreiter genannt, die in der Faszination ihres Musizierens diesem Abend Festspielcharakter verliehen.


Wiesbadener Kurier
vom 07.05.2001
Von KURIER-Redakteur
Gerd Klee
Auf der Tastatur der Temperamente

Milva zelebriert den Tango im Großen Haus/ Hommage an Astor Piazzolla/
Mehr als eine Begleitgruppe: "TangoSeis"

Milva und Piazzolla, die Sängerin und der Bandoneonspieler und Komponist, das ist eine musikalische Liaison der ganz besonderen Art über Jahre hinweg. Er hat in den achtziger Jahren eigens für sie Tangos geschrieben, sie ist in seiner Show "El Tango" in seinem Theater Bouffes du Nord in Paris aufgetreten, zusammen haben sie ein Live-Album herausgebracht, sie spielt die Maria de Buenos Aires in seiner gleichnamigen Operita. Milva bei den Maifestspielen: Standing Ovations im Großen Haus.

Faszinierend, keine Frage: Wenn sie die Bühne betritt, gehört der Raum ganz alleine ihr - und sie tut auch alles dazu, dass das so bleibt. Das Volumen ihre Stimme noch immer beachtlich, das Timbre unverändert unverwechselbar. Dazu die Inszenierung: Multilinguale Moderationen, das Spiel mit Gesten, die nur der ganz großen Diva eigen sind, Zurückgenommenheit ins Naive jetzt, Explosion ins Laszive gleich darauf, die schwarze Robe, die rote Robe, wieder die schwarze - das ist die Tastatur der Temperamente, mit der Milva sich längst den Status einer Ikone des Tango erworben hat. Sie ist die in sich gekehrte Verschleierte, sie ist die leidenschaftliche "Verrückte".

Aber irgendwie scheint doch ein kleiner Riss durch diesen Abend zu gehen. Aufmerksam wird man darauf, wenn das Begleitensemble "TangoSeis" das Heft und die Musik von Astor Piazzolla ohne die Sängerin in die Hand nimmt. Da wird es auf einmal sperrig und zerrissen, angriffslustig und widerborstig, die Melodiebögen werden gebrochen, die ganze Bandbreite der musikalischen Formen, derer sich der Komponist von klassischen bis jazzigen bedient hat, kommen zum Vorschein. Auf einmal sind wir auf der Straße und in der Bar, nicht mehr auf der Bühne. Das Publikum im Großen Haus findet Gefallen daran und spendet dem engagierten Sechser-Pack reichlich Beifall.
Doch seine ungeteilte Gunst gehört natürlich dem Star, der gegen Ende des Abends die leichte Zurückhaltung des ersten Teils aufgibt und das große Spiel der Emotionen entfacht. Milva genießt das Bad im Beifall, die Zuhörer heften sich förmlich an ihre Lippen, die wehenden Enden ihres Kleides und die Spitzen ihrer noch immer rot strahlenden Mähne: Möge sie doch jedes Jahr nach Wiesbaden kommen, ruft man ihr zu.


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